Montag, 5. Januar 2009

Neues Jahr - neue Probleme

Niemandem von euch wird entgangen sein, was die letzte Woche über im Gazastreifen passiert ist.
Seit neun Tagen wird inzwischen der Gazastreifen von der israelischen Armee lahm gelegt. Seit vorgestern ist zusätzlich zur Luftwaffe die Infanterie in Gaza eingezogen. Da es schwierig ist der Informationsflut zu folgen, möchte ich euch kurz einen Überblick schaffen.

Den Hauptteil meiner Informationen beziehe ich übrigens aus dem Nachrichtenpool der ARD, deren Berichterstattung ich an dieser Stelle loben möchte. Der Sender informiert stündlich aktuell mit Hilfe eines Livetickers. Die Narichten werden neutral, unparteiisch und vollständig präsentiert.
Die momentane Problematik begann am 19. Dezember. An diesem Tag ist ein Waffenstillstandsabkommen zwischen der Hamas und Israel in die Brüche gegangen. Seit diesem Tag schlugen über 180 Granaten in das Grenzgebiet auf Seiten Israels ein. Der Forderung der Hamas, die Grenzen zum Gaza vollkommen zu öffnen, ist Israel nicht nachgegangen. Qassam-Raketen und Granaten in den Grenzgebieten, das gab es das ganze Jahr über. Seitdem ich hier bin, schlugen in recht regelmäßigen Abständen Raketen in Städte wie Sderot, oder eben an die Grenze. Jedoch nicht in einer Dimension wie zur Weihnachtszeit. Am 27. Dezember öffnete schließlich Israel die Grenzen für ein paar Hilfsgüter. Am gleichen Tag stellte die Regierung ein 48-Stunden Ultimatum an die Hamas, den Raketenbeschuss vollkommen einzustellen. Einen Tag später, am Samstag, startete Israel überraschender Weise die Militäroffensive. Obwohl erst 24 Stunden vergangen waren, und zum Samstag der Shabbat noch im vollen Gange war. Gegen 10:00 ging die Bebombung los. Was am Anfang nur Gaza City betraf, in der die Verwaltungszentrale der Hamas ist, wurden gegen Vormittag auch Ziele südlich von Gaza Stadt getroffen.

Ich selbst war zu diesem Zeitpunkt in Hebron, also einem der heißeren Pflaster der Westbank. Im Bus schallte uns schon der arabische Nachrichtensprecher mit uns verständlichen Worten wie „Israeli“ oder „Hamas“ entgegen. Als wir letztendlich in der Stadt ankamen, sahen wir Menschenmengen Richtung Altstadt laufen. Und unten angekommen, sahen wir auch schon die Menschenmassen, die sich zur Demonstration sammelten. Leute kamen die Straßen hochgerannt, manche hielten sich die Nasen zu und hatten Tränen in den Augen (das von der PA abgefeuerte Tränengas), manche Kids schmissen mit Steinen...und irgendwie war das ganze für uns unheimlich beunruhigend. Wir waren auch nicht im Klaren darüber, was vorgefallen ist, und so beschlossen wir den Rückweg anzutreten. In Bethlehem waren Leute mit Palästinaflaggen auf den Straßen. Und im Taxi wurden wir auch von einem arabischen Manager darüber aufgeklärt , was vorgefallen war. Im French angekommen, gingen natürlich die Spekulationen los. Was würde passieren? Ich las die Narichten: die Hamas fordert zur dritten Intifada auf. Und was ich selbst gesehen hatte, lies mich nicht unbedingt daran zweifeln.

Die Bilanz des ersten Tages waren letztendlich 270 Tote, darunter viele Zivilisten. Die Bombardierung nahm die nächsten Tage ihren Lauf. Die Zahl der Opfer stieg, die Grenzen wurden von Seiten Israels komplett abgesperrt. (Inzwischen gibt es eine Sperrzone, und die Menschen in Städten wie Ashdod und Sderot werden aufgefordert ihre Häuser zu verlassen.) Israels Politiker gratulierten sich gegenseitig zur erfolgreichen Zerstörung von Verwaltungsgebäuden und Waffenlager der Hamas. Und die arabische Welt? Reagierte unterschiedlich. Länder wie Ägypten und Jordanien hielten sich moderat. Selbst die Fatah kritisiert die Hamas für ihr rücksichtsloses Vorgehen im Vorfeld. Natürlich ist das die offizielle Haltung. Inzwischen revidierte auch Abbas seine Haltung zum Krieg und kritisiert Israel, genauso wie Europa und die UN. Doch eine Intervention von den Vereinten Nationen? Die lässt auf sich warten. In der Nacht vom 3. zum 4. Januar wurde letztendlich auch die Bodenoffensive gestartet. Und dass Israel auch Moscheen und Universitäten angreift, dient natürlich auch nur der Selbstverteidigung. Die Hamas wird morgen zum ersten mal zu Verhandlungsgsprächen in Kairo zusammenkommen. Nach neun Tagen Härte und Widerstand, und „kämpfen bis zum letzten“.
Auch Israel hat seinen anfänglichen Plan revidiert, bis zum kompletten Untergang der Hamas zu kämpfen. Inzwischen geht es nur noch um die „Terrornetzwerkbeseitung“ der Hamas.
Doch wie lange wird das noch weitergehen? Und wann greift die UN ein? Die Million Menschen im Gazastreifen haben weder Lebensmittelreserven, selbst die Krankenhäuser haben keine Stromzufuhr mehr, sondern laufen durch Generatoren. Die Blutreserven sind verbraucht. Die Menschen verrecken, und die ganze Welt sieht zu – lassen das „Volk Gottes“ agieren. Das ist genauso menschenverachtend wie das Handeln der militanten Hamasanhänger.

Der heutige Kommentar des WDR-Korrespondenten Carsten Kühntopp hat mir besonders gefallen:
Der Weihnachts- und Silvesterurlaub ist vorbei, nun werden Europas Politiker aktiv. Schließlich ist Israels Krieg gegen Gaza in seiner Heftigkeit ungewöhnlich: Bisher mehr als 500 getötete Palästinenser - so viele Menschen hat die israelische Besatzungsarmee im ganzen Jahr 2007 nicht getötet! Man muss kein Zyniker sein, um festzustellen: Hätte es sich um israelische Tote gehandelt, hätten Europas Chefdiplomaten ihren beschaulichen Jahresendurlaub unverzüglich abgebrochen.

Und wie geht es mir, was ist in Jerusalem zu spüren?
Auffällig ist auf jeden Fall die Unruhe. Denn auf den Straßen, bei uns Volontären, es ist natürlich überall Gesprächsthema Nummer 1. Natürlich ist es auch ein seltsames Gefühl zu wissen, dass der Gazastreifen nur 60,70 Kilometer von uns entfernt ist. Und was ist mit den von der Hamas angekündigten Selbstmordattentaten? Ich denke die werden in nächster Zeit auch in die Tat umgesetzt werden. Vorausgesetzt, es bleibt noch etwas von der Hamas übrig.

Und was ist mit den Palästinensern in der Westbank?
Natürlich sind sie empört, und verurteilen wie fast jeder andere auch das Handeln Israels. Jedoch ist in der Bevölkerung der Unwille zu spüren, nach zwei Jahren erneut Aufstände zu starten. An Diskriminierung und Benachteiligung sind sie gewohnt. Auch, dass deren „Autonomiegebiete“ weiterhin besetzt bleiben. Aber Krawalle, oder gar eine 3. Intifada? Dafür sind die Menschen definitiv zu müde. Und was wären auch die Konsequenzen daraus? Die Situation für die Menschen hier würde sich sicherlich nur verschlechtern, schaut man sich jetzt schon die Mauer an, die Checkpoints, die Ausgrenzungen, die Ausreiseverbote. Und wie weit reicht Solidarität?



1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Lieber Erik,
Danke für deinen Bericht und deine persönlichen Eindrücke. Bitte pass auf dich auf!!!
Schade - und schlimm, wie die Menschen aufeinander zugehen.